Dekarbonisierung und Stranded Investments bei Gasverteilnetzen

Dekarbonisierung und Stranded Investments bei Gasverteilnetzen

Der Umstieg auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung steht bevor. Die Stranded Investment Risiken der Gasverteilnetze müssen fair verteilt werden. Die Marktdynamik wird durch die aktuellen geopolitischen Entwicklungen weiter verschärft.

Deutliche politische Signale zur Beendigung der Wärmeversorgung auf Basis fossiler Energien

Der Koalitionsvertrag der neuen deutschen Ampelregierung aus SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP formuliert klare Vorgaben in Bezug auf den Einsatz erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung. So soll zum 1. Januar 2025 jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden und für 2030 wird eine 50 Prozent klimaneutrale Wärmeerzeugung angestrebt.

Im Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung aus ÖVP und GRÜNEN wird von einem Verbot von Gaskesseln/Neuanschlüssen ab 2025 gesprochen wie auch ein Ende des Ausbaus von Gasnetzen zur Raumwärmeversorgung vorgesehen ist (ausgenommen Verdichtung innerhalb bestehender Netze). Österreich strebt ferner bis 2040 den vollständigen Verzicht auf fossile Energieträger in der Wärmeversorgung an.

Die Vorkommisse in der Ukraine haben den Bestrebungen zum Gasausstieg eine neue Dynamik verliehen. Im Zuge dessen will die EU die Abhängigkeit von einzelnen Erdgas-Förderländern deutlich reduzieren, wobei hier auch der Ersatz von Erdgas durch andere Energieträger eine wichtige Rolle spielen wird.

Umgestaltung des Wärmesektors hat Implikationen für Gasverteilnetze …

Der Umstieg auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung wird Auswirkungen auf die bestehende Gasverteilnetze haben. Es ist davon auszugehen, dass deren Bedeutung im Vergleich zu heute abnehmen wird. Wie stark, ist derzeit noch nicht final absehbar und Gegenstand mitunter kontrovers geführter politischer Diskussionen.

Die eine Position weist auch in der Zukunft „grünen“ Gasen wie synthetischem Wasserstoff und Methan eine Rolle im Wärmesektor zu, während die andere Position perspektivisch den „Komplettausstieg“ aus allen Typen von Gas als Energieträger für die Wärmeversorgung vorsehen. Letzteres würde weite Teile der Gasverteilnetzinfrastruktur obsolet machen.

… und das Risiko von Stranded Investments bei Gasverteilnetzen steigt an

Die Gasverteilnetzbetreiber werden sich demzufolge vermehrt mit den Folgen eines „Komplettausstieges“ (zumindest in Teilen ihres Versorgungsgebietes) auseinandersetzen müssen. Für den Fall, dass die nur noch zu einem geringeren Teil oder gar nicht mehr benötigte Infrastruktur seitens der Netzbetreiber noch nicht vollumfänglich zurückverdient worden ist, ergeben sich daraus Stranded Investment Risiken.

Es stellt sich somit die Frage, inwieweit der gegenwärtige Regulierungsrahmen Stranded Investment Risiken berücksichtigt. Beispielsweise ist zu klären, wie bei einem Rückbau, bzw. einer Stilllegung von Netzabschnitten, die noch nicht vollumfänglich regulatorisch abgeschrieben sind, die verbleibenden Restbuchwerte behandelt werden.

Dabei gilt es im Blick zu behalten, dass selbst bei einem „Komplettausstieg“ ein gewisses Investitionsniveau zur Sicherstellung der Versorgungsqualität (technische Sicherheit) bis zum „Komplettausstieg“ erforderlich sein wird.

Regulatorischer Instrumentenkasten zur Entschärfung der Problematik ist vorhanden

Zum Umgang mit Stranded Investment Risiken stehen verschiedene Regulierungsinstrumente zur Verfügung, welche abhängig von den spezifischen Umständen und dem Regulierungssystem in einem Land unterschiedlich gut geeignet sind. Grundsätzlich lassen sich dabei verschiedene Instrumente nach ihrer Stoßrichtung unterscheiden:

  • Stoßrichtung „Kapitalkosten“ – Den Stranded Investment Risiken kann hier durch Anpassungen bei den regulatorischen Abschreibungsregeln, der regulatorischen Verzinsung oder der Bestimmung des regulatorischen Anlagevermögens begegnet werden.
  • Stoßrichtung „Betriebskosten“ – Durch Anpassungen bei der Rückvergütung der Betriebskosten (z.B. bei Regulierungsparametern wie den X-Faktoren oder bei Betriebskostenfaktoren) ist es möglich, Zusatzkosten aufgrund von Stilllegungen von Netzanschlüssen zu berücksichtigen.
  • Stoßrichtung „Outptuts“ – Durch eine zusätzliche Ausrichtung der Regulierung auf spezifische Outputparameter (z.B. Berücksichtigung von Umweltaspekten, Vorgaben zur CO2 Reduktion) kann die Transformation des Energiesystems durch den Gasnetzbetreiber aktiv mitgestaltet werden.

Bei der Ausgestaltung eines adäquaten Regulierungsansatzes gilt es, soziale Erwägungen im Blick zu behalten. Durch die Substitution von Gasheizungen durch andere Energieträger sinken mittel- bis langfristig die Gasnetzkunden, welche die Netzkosten finanzieren. Um zu verhindern, dass die verbleibenden Gasnetzkunden künftig übermäßig belastet werden, sollten Anpassungen am Regulierungssystem frühzeitig angedacht werden. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund, dass es insbesondere einkommensschwache Haushalte sein können, die als Kunden verbleiben, da sie sich ggfs. einen Wechsel der Heiztechnologie aufgrund der hohen Anfangsinvestitionen nicht leisten können.

Rasches Handeln ist geboten, um eine faire Lastenteilung zu gewährleisten

Die politischen Bestrebungen zur Dekarbonisierung erhöhen das Risiko von Stranded Investments bei den Gasverteilnetzbetreibern. Das Risk Exposure wird sich im Zeitverlauf stetig erhöhen - mit negativen Folgen für Kunden, Unternehmen und letztlich auch den Staat, der womöglich als letzte Instanz einspringen müsste.

Es ist daher geboten, sich zeitnah mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Die Diskussionen in anderen Ländern wie z.B. den Niederlanden zeigen, dass es jetzt an der Zeit ist, Lösungsmöglichkeiten zu evaluieren und umzusetzen.

Bei allen regulatorischen Anpassungen sollte allerdings immer mit bedacht werden, dass sich die zukünftigen technischen wie auch politischen Rahmenbedingungen ändern können. Dies erfordert daher stets ein ausreichendes Maß an Flexibilität, um neue Entwicklungen in der Regulierung berücksichtigen zu können (und nicht in das Risiko eines Lock-in Effektes zu laufen) und um Differenzierung - soweit sinnvoll - zuzulassen (keine „one-size-fits-all“ Lösung).